Dr. Cordula Tollmien Julia Lermontowa

Cordula Tollmien

Julia Wsewolodowna Lermontowa

geboren 2. Januar 1847 (nach dem russischen Kalender am 21. Dezember 1846) in Petersburg
gestorben 16. Dezember 1919 auf dem Gut Lefortowo bei Moskau

Chemikerin

1846/47 bis 1868

Kindheit und Jugend auf dem väterlichen Gut bei Moskau, frühes Interesse für Chemie

 

 

 

Julia Wsewolodowna Lermontowa wird am 2. Januar 1847 (nach dem russischen Kalender am 21. Dezember 1846) als Tochter von Wsewolod Lermontow (ein Cousin zweiten Grades des russischen Dichters Michail Lermontow) und Jelisabeta geb. Kossikowsky in Petersburg geboren. Ihr Vater ist General und Direktor der Moskauer Kadettenschule. Er besitzt ein südlich von Moskau gelegenes Gut (Lefortowo), auf dem Julia aufwächst. Schon früh beginnt Julia, sich für Chemie zu interessieren und führt einfache Experimente selbst durch. Ihr Vater, der ihre Interessen fördert, lässt ihr außerdem Unterricht durch Lehrer der Kadettenschule erteilen.

Erinnerungen Julia Lermontowas an ihre Kindheit

1868/69

Studienpläne

Nachdem Julia Lermontowa zunächst geplant hatte, Medizin zu studieren und sogar schon bei Professor A. I. Babuchin (1827-1891) von der Moskauer Universität Histologie gelernt hatte, entscheidet sie sich – wie sie selbst später schrieb, wegen ihrer Angst vor Wunden und Leid - für die Landwirtschaft. Gemeinsam mit zwei Freundinnen stellt sie 1868 einen Antrag auf Aufnahme an der Moskauer Petrowskaja Akademie für Landwirtschaft, der aber erwartungsgemäß abgelehnt wird. Denn abgesehen von einer kurzen Phase der Liberalisierung Anfang der 1860er Jahre waren Frauen von einem Studium an den russischen Universitäten ausgeschlossen.

Daraufhin entschließt sich Julia Lermontowa für den Weg, den alle studierwilligen jungen Frauen in Russland zu dieser Zeit gehen müssen, nämlich für ein Studium im westeuropäischen Ausland und wählt nun endgültig die Chemie als ihr Studienfach.

Unterstützt wird sie bei ihrem Entschluss von zwei Frauen: von ihrer Cousine Anna Michailowna Jewreinowa, eine Tochter der Schwester ihrer Mutter, und von Sofja Kowalewskaja, die sie über Jewreinowa kennenlernt. Mit beiden Frauen, die sich 1868/69 in Petersburg aufhalten, während Julia Lermontowa noch in Moskau ist, korrespondiert sie zunächst nur und entwickelt mit ihnen gemeinsam Pläne für das ersehnte Studium im Ausland. Nachdem Sofja Kowalewskaja am 27. September 1968 eine Scheinehe mit dem späteren Paläontologen Wladimir Kowalewskij eingegangen war, konkretisieren sich diese Pläne auch für Julia. Sofja Kowalewskaja fährt - kurz vor ihrem geplanten Aufbruch ins Ausland - im März 1869 zu Julias Eltern nach Moskau und erhält die feste Zusage, dass Julia Lermontowa den Kowalewskis im Herbst 1869 zum Studium in Westeuropa folgen darf.

Erinnerungen Julia Lermontowas an ihren Kampf um das Studium

WS 1869/70 bis SS 1971

Studium in Heidelberg

Sofja Kowalewskaja nimmt zum Sommersemester 1869 ein Mathematikstudium als Gasthörerin in Heidelberg auf, wofür sie von jedem einzelnen Professor, dessen Vorlesung sie besuchen wollte, eine persönliche Genehmigung brauchte. Zum Wintersemester 1869/70 trifft dann auch Julia Lermontowa in Heidelberg ein und erreicht mit der Unterstützung von Sofja, dass sie der als notorischer Frauenhasser bekannte Robert Bunsen in seinem Labor arbeiten lässt. Dies allerdings erst nach einem Semester, nachdem sie die Grundlagen ihres Faches zunächst in einem privaten Labor gelernt hatte.

Julia Lermontowa lebt in Heidelberg mit Sofja Kowalewskaja zusammen und diese gemeinsame Zeit markiert den Beginn einer lebenslangen, intensiven und innigen Freundschaft, die Julia Lermontowas Lebensentscheidungen immer wieder grundlegend beeinflusst.

Erinnerungen Julia Lermontowas an das gemeinsame Studium mit Sofja Kowalewskaja in Heidelberg

WS 1871/72 bis SS 1874

Studium bei August Wilhelm Hofmann in Berlin

Zum WS 1870/71 wechselt Sofja Kowalewskaja nach Berlin, um dort bei Karl Weierstraß zu studieren. Julia Lermontowa bleibt zunächst in Heidelberg, folgt ihr dann aber zwei Semester später, zum WS 1871/72 nach Berlin.

Dort gelingt es ihr, den berühmten Chemiker August Wilhelm Hofmann für sich zu gewinnen. Hofmann, ein Schüler Justus Liebigs, der über zwanzig Jahre am College of Chemistry in London gelehrt hatte, lässt Julia Lermontowa in seinem Privatlaboratorium arbeiten. Eine offizielle Genehmigung zum Besuch von Vorlesungen an der Berliner Universität erhät - wie auch Sofja Kowalewskaja - nicht; Julia Lermontowa kann aber im SS 1872 Hofmanns Vorlesungskurs in Organischer Experimentalchemie besuchen.

Erinnerungen Julia Lermontowas an das Studium in Berlin

24. Oktober 1874

Promotion mit Rigorosum in Göttingen

Bis 1874 gelingt es Julia Lermontowa in Berlin zwei eigenständige wissenschaftliche Arbeiten fertigzustellen: Die erste "Über die Zusammensetzung des Dephinins" hatte Hofmann schon am 25. März 1872 der Deutschen Chemischen Gesellschaft vorgelegt (sie erscheint in den Berichten der Deutschen Chemischen Gesellschaft 5 (1872), S. 231-236). Die zweite "Zur Kenntniß der Methylenverbindungen" reicht Julia Lermontowa im Juli 1874 als Dissertation an der Universtät Göttingen ein (sie erscheint 1874 als Universitätsdruck in Göttingen).

Den Antrag auf Promotion an der Universität Göttingen stellt Julia Lermontowa am 25. Juli 1874 bei der Philosophischen Fakultät der Universität Göttingen. Sie folgt damit ihrer Freundin Sofja Kowalewskaja, die eine Woche zuvor einen entsprechenden Antrag gestellt hatte. Doch anders als Sofja, die aufgrund ihrer exzellenten Leistungen ohne mündliche Prüfung "summa cum laude" promoviert wird, muss Julia Lermontowa eine mündliche Prüfung absolvieren. Dagegen hatte sich die Fakultät wegen des befürchteten Präzedensfalles zunächst vehement gesträubt, dann aber – wohl wegen der gerade Sofja Kowalewskaja erteilten Ausnahmegenehmigung eingelenkt. Julia Lermontowa, die im August zunächst mit den Kowalewskis nach Russland zurückgekehrt war, reist im Oktober 1874 nach Göttingen und absolviert dort am 24. Oktober 1874 ihr Rigorosum "magna cum laude".

Sie ist damit die erste Frau in der Geschichte des Frauenstudiums, die an einer preußischen Universität in einem regulären Verfahren promoviert wurde. Vor ihr erhielten einen Doktor auch ihre beiden Freundinnen Sofja Kowalewskaja in Mathematik in Göttingen ("in absentia") und Anna Michailowna Jewreinowa, die aus Russland geflohen war, um studieren zu können, und schon im Februar 1873 ihr Jurastudium in Leipzig mit einem glänzenden Examen abgeschlossen hatte.

Ausführliche Beschreibung der Verhandlungen über die Doktorprüfung von Julia Lermontowa

Erinnerungen Julia Lermontowas an ihre Doktorprüfung

November 1874

Rückkehr nach Russland

Nach ihrer Promotion bleibt Julia Lermontowa noch einige Wochen in Deutschland und reist im November 1874 nach Petersburg, wo sie der als Erfinder des Periodensystems berühmt gewordene russische Chemiker Dimitrij Mendelejew in den Kreis seiner Kollegen einführt. Obwohl ihr der russische Chemiker Alexander Butlerow vorschlägt, in seinem Petersburger Labor zu arbeiten, geht Julia zunächst nach Moskau zurück.

1875/1876

Arbeit bei Markownikow in Moskau

In Moskau arbeitet Julia Lermontowa im Labor von Wladimir Wassiljewitsch Markownikow, der wie Mendelejew und Butlerow zu den bedeutendsten russischen Chemikern des 19. Jahrhunderts gehörte. Sie arbeitete u.a. erfolgreich an der Darstellung von Trimethylenbromid.

1875 wird sie Mitglied der Russischen Chemischen Gesellschaft.

Im Frühjahr 1876 erkrankt sie schwer an Typhus und erholt sich nur sehr schlecht und langsam von dieser Krankheit.

Erinnerungen Julia Lermontowas an ihre Arbeit bei Markownikow in den Jahren 1875/76

1876/1877 bis 1880

Arbeit bei Butlerow in Petersburg

Ende 1876 oder Anfang 1877 zieht sie zu Sofja Kowalewskaja und deren Mann, die inzwischen eine echte Ehe eingegangen waren, nach Petersburg und beginnt in Butlerows Labor zu arbeiten, was ihr sehr viel Spaß macht. Sie arbeitet an der Darstellung von Darstellung von Methyläthylessigsäure und der Synthese von Olefinen (ungesättigten Kohlenwasserstoffen).

Am 17. Oktober 1878 wird Sofja Kowalewskajas Tochter Sofja (Kosename Fufa) geboren. Julia Lermontowa kümmert sich wie eine zweite Mutter um das Kind.

Eine Stelle als Laborleiterin bei den "Höheren Frauenkursen" in Petersburg, die ihr Butlerow 1880 anbietet, lehnt Lermontowa ab.

Sowohl Julia Lermontowa als auch Sofja Kowalewskaja versuchen vergeblich eine Zulassung zur Magisterprüfung in Russland zu erhalten, die Voraussetzung für eine Lehrtätigkeit an Gymnasien und Universitäten war.

Erinnerungen Julia Lermontowas an ihre Arbeit bei Butlerow

1880 bis 1883

Arbeit bei Markownikow in Moskau

Im Januar 1875 war Julia Lermontowas Mutter und Anfang 1877 dann auch ihr Vater gestorben. In ihren Erinnerungen schreibt Julia Lermontowa, dass dies der Grund gewesen sei, warum sie - obwohl Butlerow sie unbedingt in Petersburg halten wollte - nach Moskau zurückgekehrt sei. Tatsache ist aber, dass sie zwar nach dem Tod ihres Vaters immer mal wieder mehrere Monate in Moskau war, um ihre familiären Angelegenheiten zu regeln, dass sie sich aber erst dann zu einer endgütigen Rückkehr nach Moskau entschließt, als Sofja Kowalewskaja, die sich mit ihrem Mann in Grundstücksspekulationen verstrickt hatte, vor ihren Gläubigern Anfang 1880 aus Petersburg nach Moskau fliehen muss.

Julia arbeitet wieder im Labor von Markownikow , wo sie sich vor allem mit der Gewinnung von Anthracen durch Erdölpyrolyse beschäftigt. Auftraggeber für diese Untersuchungen ist die Erdölraffinerie der Brüder Ragozin in Nischny-Nowgorod, für die Wladimir Kowalewski seit Mai 1880 als Direktor fungiert. Auch Sofja Kowalewskaja beschäftigt sich Wladimir zuliebe mit Erfindungen im Interesse der Erdölgesellschaft, obwohl sie den Brüdern Ragozin zutiefst misstraut. Doch weder sie noch Julia haben Freude an der Arbeit. Sofja nimmt ihre mathematischen Studien wieder auf und Julia berichtet im Februar 1883 ein letztes Mal über ihre chemischen Forschungen auf einer Sitzung der Russischen Technischen Gesellschaft, bevor sie sich entschliesst, die Chemie ganz aufzugeben und sich von nun an, der Landwirtschaft auf dem väterlichen Gut zu widmen.

Erinnerungen Julia Lermontowas an ihre Rückkehr nach Moskau

1883 ff.

Landwirtschaft auf dem väterlichen Gut

Wenige Wochen später, im April 1883, nimmt sich Wladimir Kowalewski, der sich auf die nicht existierenden Profite der Ölgesellschaft Geld geliehen hatte, das Leben. Sofja Kowalewskaja, die aufgrund der Bemühungen des schwedischen Mathematikers Gösta Mittag-Leffler im November 1883 eine Stelle als Privatdozentin an der Universität Stockholm erhalten hatte, entschließt sich, ihre Tochter Fufa bei Julia Lermontowa aufwachsen zu lassen.

 

Wird fortgesetzt

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