Das Bild zeigt meine Großmutter Elly Kosch mit ihren drei Töchtern (von links nach rechts) Helga, Jutta und Sigrid (später meine Mutter). Es wurde 1947 aufgenommen. Elly Kosch ist das Vorbild für die Elly Winter in meinem Buch "Fundevogel". Vorn auf dem Bild sieht man den Dackel Schlumpe, der auch im Buch vorkommt.
Der "Fundevogel" spielt in Dresden, kurz nach dem Ende des Krieges - er spielt in der am 13. und 14. Februar furchtbar zerstörten Stadt. Trotzdem ist es ein Buch ganz ohne Ressentiments. Es basiert zu einem großen Teil auf Briefen, die meine Großmutter an ihre Tochter Sigrid schrieb. Obwohl die gesamte Familie ausgebombt war, gab es auch in diesen Briefen nicht das geringste Anzeichen von Schuldzuweisung an andere, auch als Entlastung für die Verbrechen der Deutschen ließ mein Großmutter schon kurz nach dem Ende des Krieges die Zerstörung Dresden nicht gelten.
Am 12. Februar 1946 – also zum ersten Jahrestag der Zerstörung Dresdens – schrieb sie:
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"Ein Jahr zurück – alles steht vor mir, jede Sekunde Erlebens – nichts ist verschleiert [….] Man kann immer noch nicht weinen, man hat nur hier und da das Gefühl man möchte schreien, sinnlos schreien. Aber weil man trotz allem die Sinne nicht verlor, bleibt auch das. […]
Hier ist augenblicklich viel Not durch das entsetzliche Hochwasser. Gestern hätten Papa + Jutta bald nicht mehr über die Brücken gekonnt. Die Sachen und Schuhe werden von einem zum andern Tag einfach nicht mehr trocken.
[…]
Im Übrigen habe ich jetzt tüchtig ausgebessert und Kästen und Schränke geordnet. […] Dabei habe ich sowohl für Dich als auch für mich nette Etuis genäht für die gebliebenen Löffel + Kuchengabeln. Wirst Dich freuen! So habe ich eine Woche für Dich und mich freudigst gearbeitet. Und wenn uns viel vernichtet wurde durch die Flammen, eines konnten sie uns nicht nehmen, unser glückliches, zufriedenes, tapferes Herz, was, mein Mädel! Wir stehen genau so stolz vorm Wechelbettuch mit neuen Flicken wie einst vor Stößen Wäsche." Und dass ich Papa so gut versorgen konnte, macht mich täglich froh. Jetzt bei dem Regen hat er übern alten Mantel den Regenmantel, steckt warm und wird nicht naß. Am Sonntag half uns wie immer der Herrgott im letzten Augenblick aus der Not. Wir bekamen mit dem letzten Reisig und Kohlengrus kein warmes Zimmer und dachten mutlos an den nächsten Tag. Da schickte Helga: Sofort ½ m Holz abholen! Diesmal schon geklaftert! Papa hin – mit Frau Rudolf eiserne Karrette hergewuchtet und dann bis zum Abend gesägt + gehackt. Große, große Freude! Hat uns manchmal arge Schläge zugeteilt – der liebe, alte Gott – uns Koschs, aber zu aller-, allerletzt hat er uns immer gezeigt: Bin noch da, hab Euch nicht vergessen. Und dann mit Blick auf die schon damals geführte Diskussion darüber, ob die Bombardierung Dresdens ein Kriegsverbrechen war: "Eine Schuld wird nicht kleiner und verschwindet, weil dann andere kommen, und ähnliches begehen. Nein Sigrid – so ist’s nicht, wenn wieder Unschuldige, oder besser Gutwollende und Wenigerschuldige mit anderen gleichgemessen werden, dann beginnt ein neues Unrecht. […]
Horschitz, dem man den Vater gemordet hat, der nur Leidender unter den 12 J[ahren] Naziherrschaft war, hat das Recht, Mitleid mit dem deutschen Volk zu haben, das erhebt ihn über viele, das ist groß, edel, ist christlich. Man könnte erwarten und fast verstehen, wenn er Haß sprühen würde."
Und am Schluss dieses Briefes stehen zwei Sätze, die meine Großmutter wahrscheinlich am besten charakterisieren: "Da wir beschlossen haben zu leben, werden wir auch das ertragen, was uns dieses Leben auferlegt. Wir haben wenigstens endlich das Recht, wieder auszusprechen, was wir denken." |
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