Internationale Rosenzweig Geselllschaft e.V.
Kurzbiographie
Franz Rosenzweig, Dr. phil., Historiker, jüdischer Religionsphilosoph, Pädagoge, * 25.12.1886 Kassel, + 10.12.1929 Frankfurt am Main.
Durch sein entschiedenes Bekenntnis zum Judesein, durch seine Glaubensphilosophie,
durch seine Gründung des Freien Jüdischen Lehrhauses in Frankfurt
am Main und durch seine Bewährung in siebenjähriger Lähmungserkrankung
zum Tode ist Franz Rosenzweig in mehrfacher Hinsicht zum Vorbild und Lehrer
des Judentums in der Diaspora geworden.
Franz Rosenzweig wurde am 25. Dezember 1886 in Kassel geboren. Die Familie Rosenzweig lebte schon seit Beginn des 19. Jahrhunderts in Kassel. Der Vater Georg Rosenzweig (1857–1918) hatte die von seinem Großvater aufgebaute Drogerie zu einer florierenden Farben- und Lackfabrik erweitert. Er gehörte zu den wohlhabenden und angesehenen Großbürgern der Stadt, war Stadtverordneter und später Stadtrat. Franz Rosenzweigs Eltern, Georg und Adele Rosenzweig, geb. Alsberg (1867–1933), gehörten zum emanzipierten, liberalen Judentum, das ganz in die moderne bürgerliche Welt integriert war.
Lediglich
von seinem Großonkel Adam Rosenzweig wurde Franz Rosenzweig angeregt,
am traditionellen jüdischen Leben teilzunehmen und die hebräische
Sprache zu erlernen. Nach dem Abitur studierte er zunächst seit 1905
Medizin in Göttingen und München; 1907 wechselte er zum Studium
der Geschichtswissenschaft und Philosophie nach Freiburg (Br.) und Berlin.
Seine Dissertation, mit der er 1912 bei Friedrich Meinecke in Freiburg
promoviert wurde, arbeitete er in den kommenden Jahren zu einer Habilitationsschrift
aus: Hegel
und der Staat (2 Bde., 1920, Nachdr. 1962). Es war dies die erste umfassende
kritische Auseinandersetzung mit Hegels politischer Philosophie, die nicht
nur alle weiteren Auseinandersetzungen mit Hegel im 20. Jahrhundert geprägt
hat, sondern in ihrer staatskritischen und kulturgeschichtlichen Grundhaltung
auch heute noch eigene Aussagekraft besitzt.
Rosenzweigs wichtigster philosophischer Lehrer war
sein Vetter Hans Ehrenberg (1883–1958), der als Privatdozent der Philosophie
in Heidelberg lehrte. Er bestärkte Rosenzweig nicht nur in seiner
Hegel-Kritik, sondern regte auch dessen Auseinandersetzung mit Schellings
religionsphilosophischem Spätwerk an, dem wichtigsten philosophischen
Impuls zur späteren Konzeption von Rosenzweigs glaubensphilosophischem
Hauptwerk Der
Stern der Erlösung. Über seinen Vetter Rudolf Ehrenberg
(1884–1969) lernte Rosenzweig den Rechtshistoriker und überzeugten
Christen Eugen Rosenstock-Huessy (1888–1973) näher kennen. Im so genannten
“Leipziger Nachtgespräch” vom 7.7.1913 überredeten seine beiden
christlichen Freunde Rosenzweig zur Konversion, doch nach einer Zeit des
Bedenkens entschloss er sich, Jude zu bleiben, da auch das Judesein existentiell
gelebt werden könne. Nach dieser Entscheidung nahm er intensive jüdische
Studien auf und hörte bei dem berühmten Philosophen Hermann Cohen
(1842–1918), der inzwischen an der Hochschule für die Wissenschaft
des Judentums in Berlin lehrte.
Bei Ausbruch des I. Weltkriegs meldete sich Rosenzweig
freiwillig zum Kriegseinsatz. Von der Balkanfront führte er seit 1916
mit Eugen Rosenstock einen streitbaren jüdisch-christlichen Dialog
in Briefen, den er ab 1917 einfühlsamer mit dessen Frau Margrit fortsetzte.
Noch im Krieg begann Rosenzweig mit der Niederschrift von Der
Stern der Erlösung (1921), seinem großen glaubensphilosophischen
Werk, das in strenger Systematik und eindringlicher Sprache, auf jegliches
wissenschaftliches Beiwerk von Anmerkungen und Verweisen verzichtend, eine
grundlegende philosophisch-theologische Durchdringung des Glaubens zu geben
versucht. Der Stern besteht aus drei Teilen, die nach Rosenzweigs
Selbstverständnis als drei getrennte Bände verstanden werden
sollten, da sie methodisch von unterschiedlichen Problemstellungen ausgehen.
Der erste Band stellt eine philosophische Vorklärung dar, die sich
gegen das absolutsetzende Denken der idealistischen Philosophie richtet;
der zweite entwickelt eine theologische Grundlegung der Offenbarung, die
sich entschieden von der herkömmlichen Theologie abgrenzt; der dritte
entwickelt eine Phänomenologie der jüdischen und der christlichen
Glaubensgemeinschaft, die sich – bezogen auf die eine göttliche Wahrheit
– als “Arbeiter am gleichen Werk” Gottes verstehen sollten.
1920 – nach seiner Eheschließung mit der jüdischen
Religionslehrerin Edith Hahn (1895–1979) aus Berlin – erhielt Rosenzweig
den Auftrag, in Frankfurt am Main nach seiner Konzeption das “Freie Jüdische
Lehrhaus” als eine neuartige Erwachsenenbildungsstätte aufzubauen,
die Wege zu einem bewussten jüdischen Leben in der Moderne weisen
sollte. Zu den großen Vortragenden am Lehrhaus zählten neben
Rosenzweig selbst der Frankfurter Rabbiner Nehemia A. Nobel, der Biochemiker
Eduard Strauß, der Mediziner Richard Koch, der Jurist Eugen Mayer
und der Religionsphilosoph Martin Buber. Von den jüngeren Lehrenden
sind vor allem Siegfried Kracauer, Rudolf Hallo, Ernst Simon, Nahum N.
Glatzer, Martin Goldner und Erich Fromm zu nennen. Wenn sich auch die großen
Erwartungen an den Erfolg des Lehrhauses nur teilweise erfüllten,
so wurde doch seine Initiative und Konzeption Vorbild für eine Reihe
von Folgeeinrichtungen nach 1933 in der Zeit der Verfolgung der Juden in
Deutschland und dann nach dem II. Weltkrieg in den USA und in einigen europäischen
Staaten.
1922 – im Jahre der Geburt seines Sohnes Rafael Nehemia (1922–2001)
– wurde Franz Rosenzweig von einer amyotrophen Lateralsklerose als Folge
einer Malariaerkrankung aus dem Krieg heimgesucht. Krankheitsbedingt musste
er nicht nur die Leitung des Lehrhauses aufgeben, sondern konnte auch die
als gemeinverständliche Hinführung in sein glaubensphilosophisches
Hauptwerk gedachte Broschüre Das Büchlein vom gesunden und
kranken Menschenverstand nicht vollenden (engl. Übers. 1953; dt.
1964, Nachdr. 1984). Völlig gelähmt, nur mit den Augenlidern
diktierend, verfasste Rosenzweig noch die grundlegende philosophische Abhandlung
“Das neue Denken” (1925), in der er die Intention seiner existentiellen
Glaubensphilosophie expliziert, sich in die Glaubensgemeinschaft hinein
praktisch zu bewähren. Die Hauptarbeiten in der Zeit seiner Krankheit
waren jedoch seine Übersetzungen der Hymnen und Gedichte des Jehuda
Halevi (1085–1141) und seit 1924 gemeinsam mit seinem engsten Freund Martin
Buber (1878–1965) die “Verdeutschung der Schrift” (Die fünf Bücher
der Weisung, 1925). Buber setzte nach Rosenzweigs Tod die Übersetzungsarbeit
fort, bis 1961 die letzten Teile der hebräischen Bibel ins Deutsche
übersetzt erscheinen konnten.
Im Mai 1923 verlieh der liberale Rabbiner Leo Baeck (1873–1956) Rosenzweig
die Rabbinerwürde mit dem Titel Maurenu: unser Lehrer. Kurz vor seinem
43. Geburtstag ist Rosenzweig am 10. Dez. 1929 in Frankfurt am Main gestorben.
Franz Rosenzweig,
Der Mensch und sein Werk. Gesammelte Schriften, 4 Bde. in 6 Teilbdn., Den
Haag 1976–1984.
Franz Rosenzweig, Hegel und der Staat (1920), Aalen 1962.
Franz Rosenzweig, Das Büchlein vom gesunden und kranken Menschenverstand
(engl. Übers. 1953; dt. 1964, Nachdr. 1984).
Martin Buber/Franz Rosenzweig, Die Schrift, 4 Bde., Heidelberg 1954
ff.
Anckaert
u. B. Casper, F. R., A Primary and Secondary Bibliography, 1990.