Dr. Cordula Tollmien Universität Göttingen
Cordula Tollmien

Die Universität Göttingen im Kaiserreich

4. Die Anfänge des Frauenstudiums

Am 19. Dezember 1913 sah sich der amtierende Prorektor und Geheime Medizinalrat Prof. Dr. Eduard Kaufmann genötigt, die folgende öffentliche Erklärung abzugeben:

"Die Sitzung der Göttinger Städtischen Kollegien vom 12. XII. 13 brachte eine fast einstimmige Ablehnung des Magistratsantrages, das städtische Lyzeum zu einem Oberlyzeum auszubauen. Wer es wohl mit den studierenden Frauen meint, kann diesen Beschluß nur begrüßen, und auch die Frauen selbst wollen gar nicht den in Aussicht gestellten erleichterten Übergang vom Oberlyzeum zur Universität; sie wollen vielmehr selbst strenge, denen der Männer gleiche Zulassungsbedingungen, wollen auch hierin den Männern gleich bewertet werden. In den verschiedensten Zeitungen wird nun betont, dass für diese Stellungnahme des Bürgervorsteher-Kollegiums mit in erster Linie die Voten zweier dem Kollegium angehöriger Universitäts-Professoren bestimmend gewesen wären, welche als Bürgervorsteher selbstverständlich ihr gutes Recht hatten, ihrer Überzeugung rückhaltlos Ausdruck zu geben. Während es sich die Frauen aber wohl gefallen lassen müssen, wenn von einer oder der anderen Seite verschiedenartige Bedenken gegen das Frauenstudium überhaupt und besonders gegen ein Überhandnehmen der weiblichen Studierenden erhoben werden, [...] so glaubten unsere Studentinnen sich doch mit gutem Recht darüber beschweren zu müssen, dass von einem der beiden Herren in jener Sitzung der Ausspruch getan wurde, die Studentinnen betrachteten die Hörsäle zum großen Teil als ein Surrogat des Ballsaales. [...] Und wenn verschiedene Zeitungen gerade dieses Diktum aufgreifen, es variieren und noch verschärfen und als auf die Majorität der Studentinnen in Göttingen und anderswo gemünzt sowie als den Ausdruck der Ansicht der Universitätslehrer überhaupt darstellen, so darf ein solches Verdikt nicht ohne Widerspruch hingenommen werden. [...] Wir dürfen den Studentinnen das Zeugnis ausstellen, dass sie, seltene Ausnahmen abgerechnet, ihre Studien mit ganzem Ernst auffassen und nicht selten durch grossen, redlichen Fleiß einem Teil ihrer Kommilitonen - den Herren der Schöpfung - sogar zum Vorbild dienen dürften." (Göttinger Zeitung vom 23. Dezember 1913)

An diesem Schreiben ist sowohl die Argumentation als auch der Anlaß, also die Diskussion über das Oberlyzeum, bemerkenswert und aufschlußreich. Zwanzig Jahre, nachdem einzelne Frauen als Gasthörerinnen erstmals Vorlesungen an der Göttinger Universität hatten besuchen können, und immerhin sieben Jahre, nachdem Preußen als eines der letzten deutschen Länder mit dem Erlaß vom 18. August 1908 Frauen endlich ein reguläres Studium gestattet hatte, hielt es der Göttinger Prorektor immer noch für selbstverständlich, daß das Frauenstudium grundsätzlich zur Disposition stehen könne und daß die Zahl der studierenden Frauen möglichst gering zu halten sei (auch wenn er damit - wie er an anderer Stelle betonte - nicht seine eigene Meinung ausdrückte). Doch zeigt seine durch eine offizielle Beschwerde zweier Studentinnen veranlaßte Gegenerklärung immerhin, daß auch Studentinnen 1913 als gegen öffentliche Beleidigungen zu verteidigende Mitglieder der Universität angesehen wurden.

 

Zum Frauenstudium an der Universität Göttingen:

  • Emmy Noether - die erste Frau, die an der Universität Göttingen habilitiert wurde

  • Sofja Kowalewskaja - die erste Frau, die - nach Einführung des modernen Promotionsverfahrens
    im 19. Jahrhundert - an der Universität Göttingen promoviert wurde

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