Cordula Tollmien |
Von Hypathia bis Emmy Noether. Frauen in der Mathematik - exemplarische Lebensläufe:Laura Bassi (1711-1778) Laura Bassi war eine der ersten Repräsentantinnen der damals noch jungen Disziplin Experimentalphysik. Sie hatte außerdem - damals keineswegs selbstverständlich - eine gründliche Ausbildung in höherer Mathematik (Algebra, Geometrie und Infinitesimalrechnung) erhalten, was sich auch in ihren physikalischen Studien niederschlug, die sich durch den Grad der Mathematisierung deutlich von denen ihrer zeitgenössischen Kollegen unterschieden. Ihr Lebensweg in Kürze: 1711 in Bologna geboren, als Tochter eines bekannten städtischen Juristen, lernte sie schon im Alter von sieben Jahren Latein. Systematischen Unterricht erhielt sie ab 1723/24, also im Alter von 12/13 Jahren, und zwar zunächst heimlich, weil die Universität in Bologna gerade das Promotionsgesuch einer Frau abgelehnt hatte und in diesem Zusammenhang eine öffentliche, sehr kontroverse Diskussion über Frauenpromotionen geführt worden war, deren negative Auswirkungen man fürchtete. Entscheidend für Laura Bassis späteren Lebensweg wurde dabei die Tatsache, daß sie nicht (nur) von ihrem Vater, sondern von mit der Familie befreundeten Universitätsprofessoren und Mitgliedern der Bologneser Akademie unterrichtet wurde. Anders als ihre Vorgängerinnen und die meisten ihrer Nachfolgerinnen hatte Laura Bassi daher nicht nur einen, sondern mehrere geistige Väter, die alle an ihrem Erfolg interessiert waren und die zudem für sie ihren Einfluß bei den von ihnen repräsentierten wissenschaftlichen Institutionen geltend machen konnten. Sie überredeten Laura Bassi zunächst zu einer privaten Disputation im elterlichen Hause, nahmen sie dann als Ehrenmitglied in die Accademia delle Scienze dell' Istituto auf (allerdings ohne das Recht auf Sitzungsteilnahme) und arrangierten dann eine erste sorgfältig vorbereitete öffentliche Disputation, an der die ganze Stadt teilnahm. Nach einer zweiten öffentlichen Disputation nur wenige Wochen später wurde ihr der Doktorgrad verliehen. Nachdem ihr Erfolg auch international Aufsehen erregt hatte, gab man ihr sogar die Möglichkeit, sich durch eine dritte Disputation zu habilitieren, und ernannte sie daraufhin im Alter von nur 21 Jahren zur Universitätsprofessorin für Philosophia universalis. Dies alles ereignete sich innerhalb eines einzigen Jahres, ja innerhalb weniger Monate - vom März 1732 bis zum Oktober 1732 - und ist nur zu verstehen, wenn man weiß, wie sehr Bolognas Identität als Stadt(-staat) mit ihren wissenschaftlichen Institutionen verbunden war: mit der schon im 11. Jahrhundert gegründeten Universität (Europas ältester Universität), dem als Ausfluß einer gescheiterten Universitätsreform erst 1714 eröffneten Institut für Naturwissenschaften und der mit diesem eng verbundenen Akademie. Mit Laura Bassis Erfolg und Triumph feierte sich daher diesmal nicht ein einzelner Vater, sondern eine ganze Stadt. Normalerweise bedeutete ein solcher Erfolg wie etwa bei Elena Cornaro Piscopia (oder auch bei späteren Frauen wie Dorothea Schlözer) das Ende, nicht den Anfang einer weiblichen Karriere. Nicht so bei Laura Bassi: Zwar hatte man ihr den Professorentitel mit der Auflage verliehen, daß sie "wegen ihres Geschlechts nicht öffentlich in der Universität lehren soll, es sei denn auf Geheiß der Obrigkeit" (zit. nach Beate Ceranski, "Und sie fürchtet sich vor niemandem". Die Physikerin Laura Bassi (1711-1778), Campus Verlag Frankfurt 1996, S. 53), aber sie trat weiterhin öffentlich auf. Sie gab Empfänge, disputierte regelmäßig, etwa bei Abendgesellschaften, aber auch an der Universität, und sie setzte mit Unterstützung verschiedener Wissenschaftler vor allem ihre Ausbildung in Mathematik und Experimentalphysik fort. Darüber hinaus aber tat sie etwas, was in ihrer Situation für die damalige Zeit ganz und gar ungewöhnlich war: Sie heiratete 1738 (im Alter von 27 Jahren) den Mediziner und Naturwissenschaftler Guiseppe Verati, der gerade Professor in Bologna geworden war. Das war ein absoluter Tabubruch. Damit verletzte sie das oberste Gebot, das für die weiblichen Wunderkinder seit Entstehung dieser Spezies galt: die Erwartung ewiger Jungfräulichkeit. Denn nur als außerhalb der Geschlechterordnung stehende Jungfrauen stellten die gelehrten Frauen, die man dementsprechend zu Amazonen, Musen oder Göttinnen stilisierte (Laura Bassi und Elena Cornaro Piscopia etwa galten beide als Versinnbildlichung der Göttin Minerva), keine Bedrohung für das bestehende patriarchale Herrschaftsgefüge dar. Eine Ehefrau und Mutter, die Wissenschaft betrieb, bedeutete dagegen eine wirkliche Negierung der geltenden Geschlechtsnormen. Laura Bassi gelang es nicht nur trotz dieses Tabubruchs ihre wissenschaftliche Tätigkeit fortzusetzen, sondern auch durch und in ihrer Ehe die Grundlage für ihre weitere Karriere zu legen. Da sie keine institutionell abgesicherte Position hatte, nutzte sie ihre neue Rolle und Unabhängigkeit als Hausherrin, um im eigenen Hause, unter eigener Regie, wissenschaftliche Abendgesellschaften, Privatvorlesungen und experimentelle Vorführungen durchzuführen. Ihr Ehemann, mit dem sie insbesondere das Interesse an den neuen Forschungen in der Elektrizitätslehre teilte, unterstützte sie dabei. Außerdem kamen ihr zwei weitere Umstände zu Hilfe: einmal ein wissenschaftlich hochgebildeter und aufgeschlossener Papst - Benedikt XIV -, der aus Bologna stammte und Laura Bassi persönlich kannte, da er zur Zeit ihrer ersten Disputation Erzbischof von Bologna gewesen war; zum anderen eine von diesem Papst initiierte Akademiereform im Jahre 1745, in deren Folge erstmals eine Anzahl von bezahlten Stellen für Wissenschaftler innerhalb der Akademie geschaffen wurden. Um eine dieser Stellen bewarb sich Laura Bassi, die nicht nominiert worden war, selbstbewußt unter Hinweis auf ihre wissenschaftliche Qualifikation (die Förderung der katastrophal eingebrochen wissenschaftlichen Produktivität in Bologna war eines der obersten Ziele der Reform). Ihrem Gesuch wurde - wieder wesentlich aufgrund der Fürsprache und Mitwirkung ihrer späteren Kollegen - tatsächlich stattgegeben. Zwar wurde Laura Bassi den männlichen Wissenschaftlern der Akademie nicht völlig gleichgestellt (sie hatte zum Beispiel kein Wahlrecht), aber sie war damit die erste Frau in Europa, die eine institutionell abgesicherte wissenschaftliche Position innehatte und durch ihre Wissenschaft Geld verdiente. Weder ihre Qualifikation noch ihre Position wurden in den noch folgenden dreißig Jahren ihres Lebens jemals wieder in Frage gestellt. Im Gegenteil: 1776, im Alter von 65 Jahren, erhielt Laura Bassi, die neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit im übrigen auch noch fünf Kinder geboren hatte, mit Unterstützung ihres Ehemannes sogar einen Lehrstuhl für Physik an der Universität (mit ihrem Mann als Stellvertreter), den sie bis zu ihrem Tode zwei Jahre später voll ausfüllte. |